Tag der deutschen Einheit


Dieser offene Brief befasst sich mit der Verzerrung geschichtlicher Ereignisse im heutigen Deutschland. Ein Phänomen das ich auch schon zu meiner Jugend kannte. Das jemand der auch zur damaligen Verzerrung beitrug, zur geschichtlichen Korrektur aufruft, zeigt nur dass sich Geschichte wiederholt. Auch in einer indirekten Demokratie, aber hieß die DDR nicht auch Deutsche Demoktatische Republik?

 

Der Brief:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Ihre Leipziger Rede vom 9. Oktober 2009 ist
mir Anlaß zu der folgenden Überlegung: Abraham Lincoln hatte nach dem
Amerikanischen Bürgerkrieg am 4. März 1865 gesagt: »Mit Groll gegen niemanden,
mit Nächstenliebe gegen alle, mit Bestimmtheit im Recht (…) laßt uns bestrebt
sein, die Arbeit, die wir begonnen haben, zu beenden, die Wunden unseres Landes
zu versorgen (…)« Er wolle alles tun, hatte er erklärt, »was einen gerechten
und dauerhaften Frieden zwischen uns selbst und anderen Völkern herbeiführen
kann.« Auch wir in Deutschland haben einen Bürgerkrieg erlebt. Glücklicherweise
keinen heißen, aber einen kalten. Mehr als 40 Jahre, immer am Rande eines
möglichen Atomkrieges. Obwohl beide deutsche Staaten daran beteiligt waren,
richtet sich seit 1990 der Groll einseitig gegen die DDR. Viele ihrer Bürger
werden nach wie vor politisch ausgegrenzt, sozial benachteiligt und juristisch
ungleich behandelt. So wird nicht zusammengeführt, was nach Willy Brandt
zusammengehört.

Nach meiner Übersicht haben im Herbst 1989 knapp eine Million Menschen
demonstriert. Abgesehen davon, daß die Mehrheit von ihnen nicht die Abschaffung
der DDR gefordert hatte, geht allein aus der Zahl hervor, daß mehr als 15
Millionen DDR-Bürger nicht demonstriert haben. So differenziert wie damals ist
auch heute die Stimmung unter vielen Ostdeutschen, was aktuelle Umfragen
belegen.

Wäre es nicht an der Zeit, den 20. Jahrestag der Grenzöffnung durch die DDR am
9. November 1989 zum Anlaß zu nehmen, endlich zu einer sachlichen,
wahrheitsgetreuen und wissenschaftlich fundierten Darstellung der Geschichte
beider deutscher Staaten zu kommen?

Die Reaktion vieler Menschen auf Ihre Leipziger Rede zeigt mir, daß die
bisherige Art des Umgangs mit der DDR gescheitert ist. Eine Politik im Geiste
von Abraham Lincoln ist möglich. Ich setze in diesem Zusammenhang auf Ihre
staatsmännische Klugheit.

Hochachtungsvoll
Egon Krenz

 

Geschichte wird immer von den jenigen Geschrieben und interpretiert die sich damit selbst in ein besseres Licht setzen wollen. Objektivität ist eine Illusion. Die Perspektive, Ausschnitt und Zeitpunkt macht das Bild.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/10-27/052.php